Der 6. September 1976 – ein Tag, den ich nie vergessen werde. Nicht nur, weil ich an diesem Montag offiziell ein Schulkind wurde, sondern auch wegen eines ganz bestimmten Kleidungsstücks: die Lackschuhe.

Ich hatte sie extra für diesen besonderen Tag bekommen. Glänzend schwarz, steif und – wie sich schnell herausstellte – absolut unbequem. Schon nach der ersten Stunde taten mir die Füße weh, doch ich musste tapfer durchhalten. Schließlich war das mein großer Tag! Dass ich sie bis zum Abend tragen musste, war eine echte Tortur. Und so blieben mir nicht nur das Klassenzimmer oder die festlichen Reden im Kopf – sondern vor allem dieser stechende Schmerz in den Zehen.
Dazu kam noch die riesige Zuckertüte, die mindestens so groß war wie ich selbst. Bis oben hin vollgestopft mit Bonbons, Schokolade und allerlei Süßkram. Schwer wie ein Ziegelstein – aber natürlich habe ich sie keine Sekunde aus der Hand gegeben. Sie war mein ganzer Stolz.
Trotz der drückenden Schuhe und des Schleppens: Es war ein besonderer Tag. Der Beginn eines neuen Kapitels – mit blauen Halstüchern für die Jungpioniere, frisch gespitzten Bleistiften und einer ganzen Welt voller Fragen und Neugier.
Schuleinführung in der DDR – Ein Blick zurück ins Jahr 1976 in Erfurt
Die Einschulung war für jedes Kind in der DDR ein bedeutender Schritt – nicht nur ein neuer Lebensabschnitt, sondern auch ein festlicher Höhepunkt im Familienleben. Wer im Jahr 1976 in Erfurt eingeschult wurde, erinnert sich vielleicht noch an bunte Zuckertüten, FDJ-Fanfaren und den feierlichen Ernst des ersten Schultags.
Eine staatlich organisierte Zeremonie
Am 1. September war es soweit: Der „Tag der Einschulung“ war in der DDR genau geregelt und ein landesweit einheitlicher Termin. In Erfurt, wie in anderen Städten auch, fand die Schuleinführung meist in der Aula der Schule oder in einem Kulturhaus statt. Die ABC-Schützen wurden mit feierlicher Musik empfangen – häufig begleitet von einer Schülergruppe der 1. bis 4. Klasse oder sogar von Mitgliedern der FDJ, der Freien Deutschen Jugend.
Die Kinder kamen festlich gekleidet, oft in Hemd und Rock oder in kleinen Anzügen. Im Mittelpunkt stand natürlich die prall gefüllte Zuckertüte, die in der DDR nicht fehlen durfte. Sie war Symbol und Belohnung zugleich – für den Übergang vom Kindergartenkind zum Schulkind.
Begrüßung mit sozialistischem Geist
Die offizielle Begrüßung wurde häufig durch den Schuldirektor oder eine Parteivertreterin durchgeführt. Dabei war die Sprache klar ideologisch gefärbt: Der Schulanfang wurde nicht nur als persönlicher, sondern auch als gesellschaftlich bedeutsamer Schritt gefeiert. Die jungen Pioniere sollten nicht nur Lesen und Schreiben lernen, sondern auch zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ heranwachsen.
Ein besonderes Ritual war das Binden des roten Halstuchs: Viele Kinder wurden an diesem Tag symbolisch in die „Pionierorganisation Ernst Thälmann“ aufgenommen – ein Schritt, der emotional aufgeladen und eng mit der Identität als DDR-Bürger verknüpft war.
Die erste Unterrichtsstunde
Nach dem offiziellen Teil ging es dann in die frisch geputzten Klassenzimmer. Dort wartete oft schon die Klassenlehrerin – in der Regel eine erfahrene Pädagogin, die ihre Klasse bis zur vierten oder sogar zur achten Klasse begleitete. Die erste Unterrichtsstunde diente vor allem dem Kennenlernen: der Name wurde aufgeschrieben, das Klassentier vorgestellt und manchmal schon das erste Lied gemeinsam gesungen.
Auch die Eltern waren mit dabei – zumindest für diesen einen, wichtigen Tag. Danach begann für die Kinder der Alltag in der sozialistischen Schullandschaft.
Fazit: Mehr als nur ein erster Schultag
Die Schuleinführung 1976 in Erfurt war geprägt von einer Mischung aus Feierlichkeit, Ideologie und kindlicher Vorfreude. Für viele ehemalige DDR-Bürger bleibt dieser Tag unvergessen – nicht nur wegen der Süßigkeiten, sondern auch wegen der Rituale und der besonderen Atmosphäre, in der Bildung und Staat so eng miteinander verbunden waren.